Jedem Instagram-Motiv hinterher zu eilen, das war vor Corona. Nun ist die Zeit für Slow Travel, für Begegnungen, echte Erfahrungen und Entdeckungen, die Zeit für den authentischen Geschmack gekommen. So die Überzeugung von Eckart Mandler, Projektleiter von Slow Food Travel. Der Tourismus-Pionier aus Kärnten setzt sich seit über 30 Jahren für ein funktionierendes Netzwerk aus lokalen Erzeugern, Gastronomen und Beherbergungsbetrieben ein. Im Februar 2021 wurde Eckart Mandler für sein Engagement für nachhaltigeres, bewussteres Reisen der Columbus-Ehrenpreis der VDRJ verliehen. Wie die Corona-Pandemie das Reisen und unseren Umgang damit aus seiner Sicht verändert, erläutert der Vordenker hier im Interview.

Aus der Sicht eines Praktikers: Wie wird die Corona-Pandemie das Reisen verändern?

Zeit für Slow Travel 300 Eckart MandlerEckart Mandler ©Carolin ThierschDie Nachwirkungen von Corona werden das Reisen langfristig beeinflussen. Es wird mühevoller werden und die Gefahr von neuen Virenmutationen wird weltweit das Reiseverhalten ändern.

Reisen wird schon deshalb entschleunigter, weil die Sicherheitsmaßnahmen viel mehr Zeit verlangen und daher eine Reise überall hin einbremsen. Reisen wird wieder einen besonderen Stellenwert in unserem Leben einnehmen. Wir werden für das Reisen selber wieder mehr Verantwortung übernehmen müssen und uns über die Reiseziele vorab gut informieren müssen. Nicht jeder Instagram-Hotspot ist dann auch wirklich ein lohnendes Reiseziel.


Welche Bedeutung bekommt „Slow Travel“?

Auch angesichts der auf uns zukommenden Klimakrise werden wir unser Reiseverhalten ändern müssen: der CO²-Fußabdruck beim Verreisen wird an Bedeutung gewinnen. Das heißt aber nicht auf Reisen zu verzichten, aber das Ziel und die Art zu Reisen sollten auf Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit hin kritisch hinterfragt werden. Ähnlich wie bei Slow Food spielt auch beim Reisen die Konsumation der angebotenen Produkte eine große Rolle und hat Auswirkungen auf das Weltklima.


Was heißt „langsames Reisen“ in der Praxis?

In der Coronakrise haben viele Menschen erstmals gelernt, die eigene Umgebung zu erkunden und das meist auch noch zu Fuß. Man hat Orte und Menschen getroffen, die vorher (im Kopf) ganz weit weg waren. Man hat Freizeitaktivitäten ausgeübt, die bisher nur aus den Medien bekannt waren und von anderen Menschen gemacht wurden. Wandern, Radfahren, Langlaufen, Schneeschuhwandern oder einfach nur Bewegen in der näheren räumlichen Umgebung vom Wohnort. Reisen war lange Zeit eine langsame Art der Fortbewegung, die Ziele nicht ganz so weit von Zuhause entfernt und diese Art von Reisen war gar keine so unbequeme. Heute und in den nächsten zwei Jahren wird schon Corona-bedingt das Verreisen etwas langsamer vor sich gehen. Länger voraus eine Reise selber organisieren, nicht dorthin reisen, wo viele hinwollen, sondern Ziele finden, die noch unentdeckter sind und mehr Raum zum Entdecken bieten. Das heißt, man lernt die Menschen vor Ort intensiver kennen, tauscht mit ihnen Erfahrungen und Eindrücke aus und spürt, was ein gutes Leben wirklich ist. So sind auch Reisen zu den Wurzeln des guten Geschmacks in Kärnten eine Form von Slow Travel, weil man hier noch etwas ganz Besonderes entdeckt: die Herstellung von echten Lebensmitteln, deren Rohstoffe direkt aus dem Boden oder von den Tieren der Bauern vor Ort kommen.


Zeit für Slow Travel 300 KulinarikWieder selbst kochen ist nachhaltig ©Wolfgang HummerWo kommt unser Essen auf Reisen her?

Zu einer nachhaltigeren Art des Reisens zählt auch der Konsum von Speisen und der Einkauf von Souvenirs oder ähnlichen Dingen, die man sich im Urlaub gerne gönnt. Wer jetzt in der Corona-Zeit erstmals selber wieder Kochen und Backen lernen musste, wird sich mit der Herkunft von Lebensmitteln wieder stärker beschäftigt haben und ist vielleicht draufgekommen, dass viele Zutaten und Nahrungsmittel schon einen weiten Weg hinter sich haben. Viele Menschen, insbesondere auf dem Land, haben aber auch den Vorteil genossen, gleich um die Ecke bei Direktvermarktern und kleinen Lebensmittelhandwerkern einkaufen zu können.

Dieses Verhalten lässt sich dann leichter auf die zukünftigen Reisen übertragen und die Frage, wo das Essen am Urlaubsziel eigentlich herkommt, wird sich öfter stellen. Reiseziele, in denen die Slow Food-Bewegung schon spürbar ist, können darauf gute Antworten geben. Hier kümmern sich die Menschen vor Ort um eine nachhaltige, ökologische und klimafreundlichere Ernährung. Sie pflegen eine Esskultur, die dem Slow Travel-Reisenden sehr entgegenkommt. Daraus entwickelt sich in Kärnten gerade die Slow Food Village-Bewegung. Diese Orte des guten Lebens schaffen besondere Momente, die den Reisenden erden und eine neue Form von Luxus bieten: Zeit für Begegnungen, Zeit für echte Erfahrungen und Entdeckungen, Zeit für den authentischen Geschmack.


Warum lohnt es sich, nach Corona anders zu verreisen?

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Nicht nur, weil wir überall und jederzeit zu günstigen Preisen hinreisen konnten. Wir haben uns gerade hinreißen lassen, jedes Schnäppchen zu kaufen und zu buchen – oft ohne Rücksicht auf die Umwelt, auf Natur und Mensch. Jedem Instagram-Motiv hinterher zu eilen – das war vor Corona.

Gesundheit ist das höchste Gut des Menschen und die Freiheit des einen endet dort, wo der Andere Freiheit verliert. Slow Travel heißt auch Reisen mit Verantwortung für sich und andere. Wer zukünftig seine Reisen länger im Voraus plant, längere Zeit an einem Ort verweilt und dort mit allen Sinnen sein Reiseziel erkundet, kommt vielleicht mit mehr Erkenntnissen in sein Leben zurück als erwartet. Bewusstes Reisen schafft Zugänge zu Menschen, zu Speisen, zu Künsten und Erlebnissen, die beim Drüberfliegen im Verborgenen bleiben.


Zeit für Slow Travel 300 kraeuterdorfUrlaub in naturbelassenen Landschaften © Kräuterdorf Irschen
Verraten Sie un Ihre persönlichen Erfahrungen und Tipps für Slow Travel?

Am intensivsten sind Reisen zu Fuß: Wandern in naturbelassenen Landschaften, ob in den Bergen oder am Meer, machen den Kopf frei und stärken ganz natürlich die Fitness und das Immunsystem der Menschen. Ich konnte über 20 Jahre lang als Hotelier Gäste durch die Berge begleiten. Nach jeder Tour gab es unglaubliche Glücksgefühle, die nur durch das Gehen in fantastischen Berglandschaften entstanden sind. Daraus sind dann die Wanderhotels entstanden, in denen Hoteliers bis heute ihren Gästen eindrucksvolle Momente vermitteln.

Eine Landschaft schmecken lernen: Nirgendwo nimmt man den Geschmack einer Reiseregion besser auf als in den Speckkammern, Käsereien oder in Brotbackstuben. Mit den Slow Food Travel-Reisen in Kärnten ist uns ein Projekt gelungen, das als Vorbild für genussvolles, bewusstes Reisen anderen Reiseregionen weltweit dient. Meine Erfahrungen zeigen, dass der Genuss von echten Lebensmitteln vielen Menschen erst beim Besuch eines Erzeugers, z.B. auf dem Bauernhof oder in der Lebensmittelwerkstatt einen Wert erhält.

Kleine Dörfer, große Erinnerungen: Es sind nicht immer die großen Ressorts, die für die großen Abenteuer stehen, sondern oft sind es die kleinen, versteckten Dörfer abseits der Tourismusströme. Hier ist Nichts hundertausendmal in Reiseführern beschrieben, sondern jedes Detail muss selber erkundet werden. Und jede dieser Erkundungen birgt ein Abenteuer, das lange im Gedächtnis verankert bleibt. Deshalb lebe ich auch immer noch in einem kleinen „Kräuterdorf“ und staune, mit wie wenig Aufwand große Erinnerungen entstehen können.

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